Ein Windmühlenmesser schneidet und schält über Generationen hinweg. Grund für seine „Schnitthaltigkeit“ sind traditionelle Schleiftechniken, an denen Giselheid Herder eisern festhält. Die Chefin der Solinger Manufactur weiß genau, was ein gutes Messer braucht: Sie hat das Handwerk vom Rohling bis zum Feinschliff selbst erlernt.
Schon mal etwas vom „Solinger Dünnschliff“ gehört? Er trug dazu bei, dass Schneidwaren aus dem Bergischen Land die Küchenschubladen in aller Welt eroberten – wird heute allerdings kaum mehr praktiziert. „Wir haben uns dieser Nische verschrieben, weil wir überzeugt sind, dass sie das bessere Messer bringt“, sagt Giselheid Herder. Die Chefin der Windmühlenmesser-Manufactur und Urenkelin des Firmengründers Robert Herder weiß: „Die alte Technik erlaubt es nicht, schnell auf Masse zu produzieren. Nur Hände sind fähig, so feinfühlig zu schleifen.“ Im Vergleich zum industriellen Standard wird dieser V-Schliff vom Messerrücken her viel weiter oben angesetzt, sodass die Klinge sehr dünn und spitz auf die Schneide zuläuft. Der Winkel beträgt nur 15 Grad. Mit bloßem Auge ist das nicht zu erkennen. Messerschleifer überprüfen ihr Arbeitsergebnis so: „Sie ziehen die Klinge flach über einen Daumenring und üben etwas Druck auf die Schneidkante aus. Erst wenn sich die jeweilige Stelle leicht wölbt, ist die Klinge dünn genug ausgeschliffen“, erklärt Herder. Ergebnis: Das Messer ist und bleibt lange außerordentlich scharf, „schnitthaltig“, wie es im Fachjargon heißt.
Harter Stahl und flüchtige Atome
Die meisten Klingen werden im Hause Herder aus einem Stahlband gestanzt. Zum Härten kommen die Rohlinge für einige Minuten in den über 800 Grad heißen Ofen, bis sie rot glühen. Nach der Abschreckung im Ölbad ist der Stahl spröde und zerbrechlich wie Glas, er soll aber hart und zäh sein: Also wieder ab in den Ofen, diesmal länger und bei weniger Hitze, damit sich das Metallgefüge „entspannt“. Eine Spezialität der Windmühle sind Klingen aus nicht-rostfreiem Carbonstahl. Durch mehr Kohlenstoff in der Legierung lässt er sich höher härten und schärfer zurichten als Edelstahl. Allerdings kriegt er eine dunkle Patina. Bei Kontakt mit Flüssigkeit, speziell mit Säure, oxidiert das Eisen. Daher kann zum Beispiel ein geschnittener Apfel leicht metallisch schmecken. „Es werden aber nur Atome freigesetzt, niemand muss fürchten, auf Eisenstückchen zu beißen!“, versichert Herder lachend und weist auf einen verblüffenden Vorzug der mikrofeinen Korrosion hin: „Bei jedem Gebrauch wird gleichmäßig Material abgetragen. So wird die Klinge über die Jahre zwar immer dünner, aber nie stumpf.“ Rostfreier Stahl, den die Firma ebenfalls einsetzt, hat übrigens eine Chrombindung, der die Eisenatome „festhält“.
Im kalten Wasser schwimmen gelernt
Das Messerhandwerk gilt seit jeher als Männerdomäne. „Ich komme noch dazu aus einer männerbetonten Familie“, sagt die Geschäftsführerin. Vier Töchter und keinen Sohn zu haben, sei für ihren Vater nicht einfach gewesen. Eigentlich sollte ihr Ehemann einmal dessen Nachfolge antreten, aber dieser starb überraschend früh. Die gelernte Bankkauffrau arbeitete damals, 1988, als Devisenhändlerin. Auch um ihren Verlust zu überwinden, wäre sie gern ins Ausland gegangen. Trotzdem trat sie nun pflichtbewusst in den Familienbetrieb ein, um ihren Vater zu unterstützen. Doch anstatt sie gründlich in alle Bereiche und Abläufe einzuführen, schubste man sie ins kalte Wasser: „Unser Betriebsleiter ging in den Urlaub, und ich sollte ihn vertreten. Als ich an meinem ersten Tag das Werksgebäude betrat, zitterten mir die Knie“, erinnert sie sich. „Obwohl mir alles von klein auf an vertraut war, verstand ich im Grunde wenig von dem, was unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter da taten.“ Spontan entschied Giselheid Herder, sich von ihnen alles beibringen zu lassen. Auch als der Betriebsleiter längst wieder da war und sie sich um Kalkulation, Buchhaltung und mehr kümmerte, setzte sie ihr Projekt in jeder freien Stunde fort, durchlief wie eine Praktikantin alle Abteilungen. Die Materie von Grund auf zu verstehen, habe ihr später auch geholfen, sich intern als Chefin und extern als Unternehmerin zu behaupten. Seit 1993 leitet Giselheid Herder die Firma in vierter Generation zusammen mit ihrem Cousin Frank Daniel Herder.
Unterricht bei Schleifermeister Fehrekampf
Das Schleifen und Feinschleifen lernte sie bei Wilfried Fehrekampf. Der inzwischen verstorbene Meister genoss in der Branche einen legendären Ruf. „Er stand hinter mir und führte meine Hände, sodass mir die Bewegungen in Fleisch und Blut übergingen“, erzählt Giselheid Herder voller Respekt. Eine Klinge am rotierenden Stein präzise in Form zu bringen, erfordert Gefühl und Kraft. Das Metall kreischt, und Werkstück und Hände sind oft von einem Schlamm aus Kühlwasser und Schmirgel bedeckt – nichts für Zimperliche. Beim Pließten wird die Klinge stufenweise mit immer feinerem Schmirgel von den Schleifrillen befreit. Höchste Stufe ist das Blaupließten: „Dazu bestreicht man eine lederbezogene Schleifscheibe mit einer Paste aus Knochenleim, Rapsöl und feinkörnigem Korund“, erklärt Herder. Die Klinge wird nun so glatt poliert, dass sie weniger rostanfällig ist. Sie schimmert blau, daher der Name Blaupließten.“ Wilfried Fehrekampf war seinerzeit der letzte Schleifermeister weit und breit, der diese Technik beherrschte. Als er 65 wurde, bat sie ihn, die Rente zu verschieben. „Wollen Sie wirklich nur noch mit Frau und Hund an der Wupper spazieren gehen?“, traute sie sich, ihn zu fragen. Nein, das wollte er nicht. Fehrekampf gab sein Wissen und Können noch an zehn Lehrlinge weiter, und nicht nur die Manufactur-Chefin ist ihm enorm dankbar dafür: „Er hat das Handwerk und vermutlich auch die Windmühle gerettet.“ Zuvor hatten beide erfolgreich dafür gekämpft, dass die jungen Leute auch einen Abschluss machen können – denn 1969 hatte die Industrie- und Handelskammer im Zuge der Automatisierung den Lehrberuf des Schleifers abgeschafft. Das Handwerk konnte seitdem nur noch angelernt werden. Das neu geschaffene Berufsbild heißt: „Fachkraft für Metalltechnik mit Fachrichtung Zerspanungstechnik“, in der Werkstatt sprechen aber alle nur von Schleifer und Pließter.
Schätze von gestern bis morgen
Bisher sitzen nur Männer an den Schleifsteinen, aber rund die Hälfte der 80-köpfigen Belegschaft sind Frauen. Viele arbeiten in der Reiderei, wo Klinge und Griff montiert werden. Diverse Edelhölzer umhüllen den Stahl, darunter Kirsche, Pflaume und Walnuss. Das FSC-zertifizierte Buchenholz unserer Messerauswahl im Warenhaus stammt aus deutschen Wäldern. Die Griffe sind schön griffig, da das Holz nur gedämpft und mit natürlichen Ölen behandelt wird. Die Windmühle hat ihr Sortiment mit der Zeit stark erweitert, um weltweit konkurrenzfähig zu bleiben und von der Alltags- bis zur Spitzenküche alle Ansprüche zu erfüllen. Neben neu aufgelegten Traditionsmodellen wie dem „Hechtsäbels“ oder dem „Tranchelard“ aus der Serie 1922 bringt sie auch Neuentwicklungen heraus wie die Fischmesser „Seaknives“ oder zuletzt die „Fromaĝo“-Serie für Käsegourmets. Aber am besten verkaufen sich laut Herder immer noch Klassiker wie das Schälmesser „Vogelschnabel“ oder das „Buckels“, das im Warenhaus „Vespermesser“ heißt und mit seiner abgerundeten Klinge auch schmieren kann.
„Oft schicken uns Kundinnen und Kunden ihre Lieblingsmesser zur Reparatur: der Griff verrottet, die Klinge noch tadellos“, erzählt die Geschäftsführerin. Doch manche Klinge sei so dünn geworden, dass sie ihnen ein neues Messer zum Tausch anbiete. „Ha!“, ruft sie, „und wieder ein Museumsstück ergattert!“ Zum 150. Firmenjubiläum 2022 sollen einige der gesammelten Schätze samt ihrer Geschichten im Foyer ausgestellt werden. Giselheid Herder erbte ein gut 100 Jahre altes Gemüsemesser von ihrem Großvater. Wenn sie es in die Hand nimmt und über die fein bearbeitete Klinge streicht, passiert etwas mit ihr: „Dann fühle ich mich irgendwie geerdet“, sagt sie, „verbunden mit diesem Ort, dem alten Handwerk und all den Menschen, die hier seit 1872 gearbeitet haben. Und ich fühle stärker als sonst die Verantwortung, dieses Erbe bestmöglich in die Zukunft zu führen.“
Reparatur-Aufträge übernimmt die Chefin bei Gelegenheit gern selbst. Sie wolle handwerklich im Training bleiben.
Alle Messer aus Solingen und weitere nützliche Küchenartikel finden Sie hier.
„Wo ist denn Ihre Windmühle?“ - Wie die Firma zu ihrem Namen und Logo kam
1872 wurde die „Stahlwaren-Fabrik von Robert Herder“ in Solingen-Ohligs gegründet. Noch immer befinden sich die Messerwerkstätten in dem backsteinernen, von Rosenbüschen umsäumten Gründungsgebäude mitten im Wohngebiet. Manchmal klopfen Passanten an die Tür und fragen, wo denn die Windmühle sei? Es gab nie eine, erfahren sie dann. „Wir hatten anfangs verschiedene Warenzeichen: für den deutschen Markt ein vierblättriges Kleeblatt und für die Auslandsmärkte einen Adler auf einer Säule“, holt die Firmenchefin aus. „Um 1900 wollte mein Urgroßvater Robert neue Märkte in Belgien und Holland erobern. Also schickte er seinen Sohn Paul mit den Mustertaschen auf die Reise. Nebenbei sollte mein Großvater nach einem neuen Symbol Ausschau halten, das in den Zielländern gefallen könnte.“ Paul musste nicht lange suchen: An der Küste sprangen ihm die vielen Windmühlen ins Auge, die zur Neulandgewinnung Wasser aus den Poldern pumpten. „1905 setzte sich die Windmühle als alleiniges Warenzeichen durch“, so Giselheid Herder.
Harter Stahl und flüchtige Atome
Die meisten Klingen werden im Hause Herder aus einem Stahlband gestanzt. Zum Härten kommen die Rohlinge für einige Minuten in den über 800 Grad heißen Ofen, bis sie rot glühen. Nach der Abschreckung im Ölbad ist der Stahl spröde und zerbrechlich wie Glas, er soll aber hart und zäh sein: Also wieder ab in den Ofen, diesmal länger und bei weniger Hitze, damit sich das Metallgefüge „entspannt“. Eine Spezialität der Windmühle sind Klingen aus nicht-rostfreiem Carbonstahl. Durch mehr Kohlenstoff in der Legierung lässt er sich höher härten und schärfer zurichten als Edelstahl. Allerdings kriegt er eine dunkle Patina. Bei Kontakt mit Flüssigkeit, speziell mit Säure, oxidiert das Eisen. Daher kann zum Beispiel ein geschnittener Apfel leicht metallisch schmecken. „Es werden aber nur Atome freigesetzt, niemand muss fürchten, auf Eisenstückchen zu beißen!“, versichert Herder lachend und weist auf einen verblüffenden Vorzug der mikrofeinen Korrosion hin: „Bei jedem Gebrauch wird gleichmäßig Material abgetragen. So wird die Klinge über die Jahre zwar immer dünner, aber nie stumpf.“ Rostfreier Stahl, den die Firma ebenfalls einsetzt, hat übrigens eine Chrombindung, der die Eisenatome „festhält“.
Im kalten Wasser schwimmen gelernt
Das Messerhandwerk gilt seit jeher als Männerdomäne. „Ich komme noch dazu aus einer männerbetonten Familie“, sagt die Geschäftsführerin. Vier Töchter und keinen Sohn zu haben, sei für ihren Vater nicht einfach gewesen. Eigentlich sollte ihr Ehemann einmal dessen Nachfolge antreten, aber dieser starb überraschend früh. Die gelernte Bankkauffrau arbeitete damals, 1988, als Devisenhändlerin. Auch um ihren Verlust zu überwinden, wäre sie gern ins Ausland gegangen. Trotzdem trat sie nun pflichtbewusst in den Familienbetrieb ein, um ihren Vater zu unterstützen.
Doch anstatt sie gründlich in alle Bereiche und Abläufe einzuführen, schubste man sie ins kalte Wasser: „Unser Betriebsleiter ging in den Urlaub, und ich sollte ihn vertreten. Als ich an meinem ersten Tag das Werksgebäude betrat, zitterten mir die Knie“, erinnert sie sich. „Obwohl mir alles von klein auf an vertraut war, verstand ich im Grunde wenig von dem, was unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter da taten.“ Spontan entschied Giselheid Herder, sich von ihnen alles beibringen zu lassen. Auch als der Betriebsleiter längst wieder da war und sie sich um Kalkulation, Buchhaltung und mehr kümmerte, setzte sie ihr Projekt in jeder freien Stunde fort, durchlief wie eine Praktikantin alle Abteilungen. Die Materie von Grund auf zu verstehen, habe ihr später auch geholfen, sich intern als Chefin und extern als Unternehmerin zu behaupten. Seit 1993 leitet Giselheid Herder die Firma in vierter Generation zusammen mit ihrem Cousin Frank Daniel Herder.
Schätze von gestern bis morgen
Bisher sitzen nur Männer an den Schleifsteinen, aber rund die Hälfte der 80-köpfigen Belegschaft sind Frauen. Viele arbeiten in der Reiderei, wo Klinge und Griff montiert werden. Diverse Edelhölzer umhüllen den Stahl, darunter Kirsche, Pflaume und Walnuss. Das FSC-zertifizierte Buchenholz unserer Messerauswahl im Warenhaus stammt aus deutschen Wäldern. Die Griffe sind schön griffig, da das Holz nur gedämpft und mit natürlichen Ölen behandelt wird. Die Windmühle hat ihr Sortiment mit der Zeit stark erweitert, um weltweit konkurrenzfähig zu bleiben und von der Alltags- bis zur Spitzenküche alle Ansprüche zu erfüllen. Neben neu aufgelegten Traditionsmodellen wie dem „Hechtsäbels“ oder dem „Tranchelard“ aus der Serie 1922 bringt sie auch Neuentwicklungen heraus wie die Fischmesser „Seaknives“ oder zuletzt die „Fromaĝo“-Serie für Käsegourmets. Aber am besten verkaufen sich laut Herder immer noch Klassiker wie das Schälmesser „Vogelschnabel“ oder das „Buckels“, das im Warenhaus „Vespermesser“ heißt und mit seiner abgerundeten Klinge auch schmieren kann.
„Oft schicken uns Kundinnen und Kunden ihre Lieblingsmesser zur Reparatur: der Griff verrottet, die Klinge noch tadellos“, erzählt die Geschäftsführerin. Doch manche Klinge sei so dünn geworden, dass sie ihnen ein neues Messer zum Tausch anbiete. „Ha!“, ruft sie, „und wieder ein Museumsstück ergattert!“ Zum 150. Firmenjubiläum 2022 sollen einige der gesammelten Schätze samt ihrer Geschichten im Foyer ausgestellt werden. Giselheid Herder erbte ein gut 100 Jahre altes Gemüsemesser von ihrem Großvater. Wenn sie es in die Hand nimmt und über die fein bearbeitete Klinge streicht, passiert etwas mit ihr: „Dann fühle ich mich irgendwie geerdet“, sagt sie, „verbunden mit diesem Ort, dem alten Handwerk und all den Menschen, die hier seit 1872 gearbeitet haben. Und ich fühle stärker als sonst die Verantwortung, dieses Erbe bestmöglich in die Zukunft zu führen.“
Reparatur-Aufträge übernimmt die Chefin bei Gelegenheit gern selbst. Sie wolle handwerklich im Training bleiben.
Alle Messer aus Solingen und weitere nützliche Küchenartikel finden Sie hier.
Harter Stahl und flüchtige Atome
Die meisten Klingen werden im Hause Herder aus einem Stahlband gestanzt. Zum Härten kommen die Rohlinge für einige Minuten in den über 800 Grad heißen Ofen, bis sie rot glühen. Nach der Abschreckung im Ölbad ist der Stahl spröde und zerbrechlich wie Glas, er soll aber hart und zäh sein: Also wieder ab in den Ofen, diesmal länger und bei weniger Hitze, damit sich das Metallgefüge „entspannt“. Eine Spezialität der Windmühle sind Klingen aus nicht-rostfreiem Carbonstahl. Durch mehr Kohlenstoff in der Legierung lässt er sich höher härten und schärfer zurichten als Edelstahl. Allerdings kriegt er eine dunkle Patina. Bei Kontakt mit Flüssigkeit, speziell mit Säure, oxidiert das Eisen. Daher kann zum Beispiel ein geschnittener Apfel leicht metallisch schmecken. „Es werden aber nur Atome freigesetzt, niemand muss fürchten, auf Eisenstückchen zu beißen!“, versichert Herder lachend und weist auf einen verblüffenden Vorzug der mikrofeinen Korrosion hin: „Bei jedem Gebrauch wird gleichmäßig Material abgetragen. So wird die Klinge über die Jahre zwar immer dünner, aber nie stumpf.“ Rostfreier Stahl, den die Firma ebenfalls einsetzt, hat übrigens eine Chrombindung, der die Eisenatome „festhält“.
Text: Nicoline Haas | Fotos: Windmühlenmesser Manufactur
Im kalten Wasser schwimmen gelernt
Das Messerhandwerk gilt seit jeher als Männerdomäne. „Ich komme noch dazu aus einer männerbetonten Familie“, sagt die Geschäftsführerin. Vier Töchter und keinen Sohn zu haben, sei für ihren Vater nicht einfach gewesen. Eigentlich sollte ihr Ehemann einmal dessen Nachfolge antreten, aber dieser starb überraschend früh. Die gelernte Bankkauffrau arbeitete damals, 1988, als Devisenhändlerin. Auch um ihren Verlust zu überwinden, wäre sie gern ins Ausland gegangen. Trotzdem trat sie nun pflichtbewusst in den Familienbetrieb ein, um ihren Vater zu unterstützen. Doch anstatt sie gründlich in alle Bereiche und Abläufe einzuführen, schubste man sie ins kalte Wasser: „Unser Betriebsleiter ging in den Urlaub, und ich sollte ihn vertreten. Als ich an meinem ersten Tag das Werksgebäude betrat, zitterten mir die Knie“, erinnert sie sich. „Obwohl mir alles von klein auf an vertraut war, verstand ich im Grunde wenig von dem, was unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter da taten.“ Spontan entschied Giselheid Herder, sich von ihnen alles beibringen zu lassen. Auch als der Betriebsleiter längst wieder da war und sie sich um Kalkulation, Buchhaltung und mehr kümmerte, setzte sie ihr Projekt in jeder freien Stunde fort, durchlief wie eine Praktikantin alle Abteilungen. Die Materie von Grund auf zu verstehen, habe ihr später auch geholfen, sich intern als Chefin und extern als Unternehmerin zu behaupten. Seit 1993 leitet Giselheid Herder die Firma in vierter Generation zusammen mit ihrem Cousin Frank Daniel Herder.
Schätze von gestern bis morgen
Bisher sitzen nur Männer an den Schleifsteinen, aber rund die Hälfte der 80-köpfigen Belegschaft sind Frauen. Viele arbeiten in der Reiderei, wo Klinge und Griff montiert werden. Diverse Edelhölzer umhüllen den Stahl, darunter Kirsche, Pflaume und Walnuss. Das FSC-zertifizierte Buchenholz unserer Messerauswahl im Warenhaus stammt aus deutschen Wäldern. Die Griffe sind schön griffig, da das Holz nur gedämpft und mit natürlichen Ölen behandelt wird. Die Windmühle hat ihr Sortiment mit der Zeit stark erweitert, um weltweit konkurrenzfähig zu bleiben und von der Alltags- bis zur Spitzenküche alle Ansprüche zu erfüllen. Neben neu aufgelegten Traditionsmodellen wie dem „Hechtsäbels“ oder dem „Tranchelard“ aus der Serie 1922 bringt sie auch Neuentwicklungen heraus wie die Fischmesser „Seaknives“ oder zuletzt die „Fromaĝo“-Serie für Käsegourmets. Aber am besten verkaufen sich laut Herder immer noch Klassiker wie das Schälmesser „Vogelschnabel“ oder das „Buckels“, das im Warenhaus „Vespermesser“ heißt und mit seiner abgerundeten Klinge auch schmieren kann.
„Oft schicken uns Kundinnen und Kunden ihre Lieblingsmesser zur Reparatur: der Griff verrottet, die Klinge noch tadellos“, erzählt die Geschäftsführerin. Doch manche Klinge sei so dünn geworden, dass sie ihnen ein neues Messer zum Tausch anbiete. „Ha!“, ruft sie, „und wieder ein Museumsstück ergattert!“ Zum 150. Firmenjubiläum 2022 sollen einige der gesammelten Schätze samt ihrer Geschichten im Foyer ausgestellt werden. Giselheid Herder erbte ein gut 100 Jahre altes Gemüsemesser von ihrem Großvater. Wenn sie es in die Hand nimmt und über die fein bearbeitete Klinge streicht, passiert etwas mit ihr: „Dann fühle ich mich irgendwie geerdet“, sagt sie, „verbunden mit diesem Ort, dem alten Handwerk und all den Menschen, die hier seit 1872 gearbeitet haben. Und ich fühle stärker als sonst die Verantwortung, dieses Erbe bestmöglich in die Zukunft zu führen.“
Reparatur-Aufträge übernimmt die Chefin bei Gelegenheit gern selbst. Sie wolle handwerklich im Training bleiben.
Alle Messer aus Solingen und weitere nützliche Küchenartikel finden Sie hier.
Fotos: Windmühlenmesser Manufactur
Text: Nicoline Haas